Werner Schimpl, „Black Box“

Künstlerhaus Graz, 2006

(Erkenne dich selbst!)

Objekt-Installation, Video

In konsequenter Fortsetzung des Leitmotivs W. Schimpls, eine Visualisierung und Sichtbarmachung des Verborgenen, des den Sinnen Entzogenen, nicht Wahrnehmbaren, bis hin zur Durchdringung materieller Dichte und Solidität zu leisten, um das Innen zu neuen Oberflächen und „Außen-Ansichten“ werden zu lassen, intendiert das Projekt „Black Box“ ein Vor- und Eindringen in die immaterielle „Innenwelt“ des menschlichen Ichs. (Eine Thematisierung des ungegenständlichen „Innen“ erfolgte bereits 1997 bei einer Liftinstallation in Frohnleiten (siehe Katalog), bei der das „Unsichtbare“ der Bewegung im Zentrum stand.)

Ausgehend von der Schnittstelle des (versteckten) Privaten und Intimen gegenüber dem Öffentlichen im menschlichen Alltagsleben, manifestiert in einem ja erst in der späten Moderne sich durchsetzenden „Schlafzimmer“-Bereich, der vom übrigen Wohnraum getrennt und abgeschlossen wurde (und dies nicht nur architektonisch, sondern eben auch psychisch und sozial), gestaltet W. Schimpl diesen sozial und psychologisch brisanten Intimbereich des Einzelnen in der Metaphorik einer Black Box., die dieser Lebensbereich ja auch realiter ist. Im Bereich des Schlafzimmers, das sich nur allzu leicht zum Schauplatz psychischer und zwischenmenschlicher Katastrophen entwickelt, ergibt sich die mehrfache Spiegelung menschlicher Lebens-Verhältnisse als Verschachtelung multipler Black Boxes – z. B. jene der menschlichen Psyche. (Nicht zufällig heißt der im Schlafzimmer zur Verwendung kommende Toilettentisch mit Spiegel ebenfalls „Psyche“ – hier lebt die griechische Urbedeutung des Wortes als ein (über den Tod hinaus nachlebendes) Spiegelbild weiter.)

Mit der Konzeption des (unsichtbaren) Innen als Black Box konnotiert W. Schimpl aber auch die system- und medientheoretische Metaphorik – als Beschreibung eines Phänomens, dessen Funktionsweise (meist aufgrund zu großer Komplexität) unbekannt ist. Zwar sind In- und Output ablesbar, dennoch bleibt der Funktionsmechanismus der Black Box unerkennbar. Derart werden scheinbar völlig heterogene Bereiche wie der menschliche Intim- und Privatbereich mit medientechnischen Phänomenen wie Fernsehapparat, PC, aber auch „einfache“ Komplexitätsphänomene wie Automobile oder hoch komplexe wie das Gesellschaftssystem als Ganzes, über die Metapher der Black Box für den Besucher vergleichbar. (Am Rande sei bemerkt, dass das anthropologische Paradigma der Black Box der Mensch selbst ist, der sich nur als solche „verstehen“ kann, d. h. also dass er sich in Wahrheit nicht verstehen kann!)

Durch die im (abgedunkelten) Innenraum variabel und „mobil“ gestaltete Mobiliarverteilung manifestiert sich die unerkennbare „Logik“ derartiger Systeme – z. B. hinsichtlich der psychischen „Ökonomie“ des menschlichen Intimbereichs, der labil und entropisch zwischen „Erstarrung“ (Triebnegation als psych. „Normalität“) und unkontrollierten Eruptionen (psych. Anomalien) oszilliert.

Dem Besucher wird durch die Konstruktion jedoch auch der „Eintritt“ in das Innen der Black Box gestattet: Hier wird er zu einer Neuorientierung innerhalb einer überraschenden Wahrnehmungs- und Erlebnissituation (Dunkelheit, Lichteffekte und sich plötzlich bewegende Möbelstücke) als paradigmatische Black Box-Situation motiviert. Die unterschiedlichen Reaktionsweisen der Besucher (Neugier, Scheu, Passivität, Betasten, das Ausprobieren der Möbelstücke, Orientierungslosigkeit etc.) werden aufgezeichnet und in einem Nebenraum als Video gezeigt. Der Besucher ist so in seinem Verhalten selbst Teil der Black Box, deren Erkennbarkeit und funktionale Logik sich nur in Abhängigkeit von seinen eigenen Aktivitäten ergibt. Dadurch erreicht W. Schimpl eine mehrfache Brechung der Innen-Außen-Polarität, wie sie durch den Modus einer Black Box vorgegeben ist.

Text von Erwin Fiala

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