Struktur trifft Farbe

Gerhard Lojen
Ausstellungsdauer: 22. Oktober bis 23. November 2019

Vor nun 9 Jahren, also 2010, eröffnete ich in der Galerie der österreichischen Botschaft in Berlin eine retrospektive Ausstellung Gerhard Lojens mit dem Titel Die Sehnsucht nach radikalen, ultimativen Bildern.

Der Ausstellungstitel folgte einem Zitat, das dem Interview zwischen dem Kunsttheoretiker Peter Weibel und dem Künstler im Katalog zu seiner Ausstellung „Gerhard Lojen, Werke 1955–2000“ in der Neuen Galerie Graz im Jahr 2001 entnommen ist und programmatisch für Lojens Lebenswerk steht, das immer von dieser Sehnsucht nach radikalen, ultimativen Bildern getragen war. In diesem ausführlichen Gespräch über die internationalen Avantgarden nach 1945 wird Lojens künstlerische Entwicklung und seine Arbeitsweise ab Mitte der 1950er Jahren bis zum Zeitpunkt der Ausstellung im Jänner 2001 nachgezeichnet bzw. nach den verschiedenen Entwicklungsphasen periodisiert.

In der aktuellen Ausstellung mit dem Titel „Struktur trifft Farbe“, hier im neuen Kunstraum der Gruppe 77, deren Gründungsmitglied Lojen war, ist der Fokus auf sein Frühwerk gerichtet. Diese erste Periode umfasst zwei Werkgruppen, einerseits die von ihm dezidiert als Materialbilder bezeichneten Öl- bzw. Mischtechnikbilder auf Leinwand oder Hartfaserplatte und zum anderen eine Serie von Aquarellen, allesamt „Landschaften“, -sogenannte imaginative oder innere Landschaften,. - zwischen 1958 bis 1961 entstanden.

1955, im Alter von 20 Jahren malte Lojen sein erstes Ölbild, ein abstraktes Bild, das noch leichte Anklänge an den Kubismus aufweist.

Am Anfang seines künstlerischen Schaffens stand also schon der Wille zur gegenstandslosen Malerei, ein Streben nach einer reinen abstrakten Malerei, womit Lojen eine wesentliche Einschränkung der österreichischen Moderne zu überwinden suchte, nämlich die bloße Naturabstraktion. Lojen wollte sich als ein Maler der „anderen Moderne“ positionieren, nämlich als ein Maler abstrakter Bilder sowie abstrakter Materialbilder, und sich also nicht in der Tradition der in der österreichischen Kunst so wirksamen Naturabstraktion, - in der Nachfolge von Herbert Boeckl, Max Weiler oder Wolfgang Hollegha,- sah, sondern sein Ziel war es, aus einem intensiv ausgeprägten Materialbewusstsein heraus zu einer reinen Abstraktion von Form und Farbe zu gelangen. Dies ist umso bemerkenswerter, als Lojen im Gegensatz zu Lassnig, Rainer, Hollegha, Staudacher oder Bischoffshausen, die sich in den 1950er Jahren durch Auslandsaufenthalte in Paris oder New York über die internationalen Tendenzen informieren konnten, ausschließlich in Graz lebte.

Den Dialog und Austausch mit internationaler Kunst fand Lojen im Rahmen seines Architekturstudiums, das er 1954 an der Technischen Universität in Graz begonnen hatte und im Sommer 1962 abschloss. Im verpflichtenden Lehrgang „Zeichnen und Malen“, der von Kurt Weber geleitet wurde, hatte er seine Initiation für seinen zukünftigen Weg als Maler erfahren. Kurt Weber (1893-1964), seit 1926 Mitglied der Grazer Sezession, war einer der wesentlichen Wegbereiter der Moderne in der Steiermark. In Berlin stand er in Kontakt zum avantgardistischen Künstlerkreis um Herwarth Walden, dem Herausgeber der Zeitschrift „Der Sturm“, studierte dann in Graz bei Wilhelm Thöny und Alfred Wickenburg und setzte im Paris der 1930er Jahre seine Studien bei Fernand Léger und Robert Delaunay fort. Kurt Weber machte seine Studenten mit der internationalen zeitgenössischen Kunst vertraut, vor allem mit Tachismus, Informel, dem Action Painting von Jackson Pollock, aber auch mit den Ursprüngen der Moderne, dem Kubismus von Braque und Picasso. Aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis entwickelte sich ein enge Freundschaft, so dass sie in einen intensiven künstlerischer Austausch traten, der sich in gemeinsamen Untersuchungen zu bildinhaltlichen Problemen wie zu Materialien, aber auch in vertiefenden Gesprächen zur Kunsttheorie der Moderne, zur Philosophie und Religion manifestierte. So schreibt Lojen in einem biografischen Essay im Katalog von 2001: „An unzähligen Nachmittagen spannte sich der Bogen der angesprochenen Themen von Materialversuchen und bildinhaltlichen Problemen über die Durchlässigkeit der Grenzlinien zwischen den verschiedenen Sparten der modernen Kunst und sparte Philosophie und Religion nicht aus, wobei Webers besonderes Interesse dem Zen-Buddhismus galt, was sich in bescheidenem Umfang auch auf mich übertrug“. Vor allem in seinem Spätwerk wird sich Lojen, gezeichnet von seiner schweren Krankheit, wieder intensiver mit dem Zen-Buddhismus auseinandersetzen und in zeitgenössischer japanischer Literatur letzte, neue Inspirationen finden.

Durch Weber wurde Lojen 1958 als Mitglied in die Künstlervereinigung der Grazer Sezession aufgenommen, an deren Jahresausstellungen und sonstigen Aktivitäten er sich regelmäßig beteiligte. 1967 wurde er zu deren Präsident gewählt. Die Sezession unter ihrem Präsidenten Rudolf Pointner vermittelte Lojen durch ihre Ausstellungspolitik von Mondrian bis Vasarely die internationalen Tendenzen der Moderne. Durch diese Angebote erwarb sich Lojen umfassende Kenntnisse von zeitgenössischen Kunstpraktiken der Abstraktion und des Informel, aber er lernte auch deren Quellen in der Moderne von Kubismus bis Paul Klee kennen.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1923 versammelte sich in der Sezession Graz die Avantgarde der steirischen Kunst und ebenso wieder nach dem II. Weltkrieg mit Rudolf Pointner, Friedrich Aduatz, Gottfried Fabian und Vevean Oviette, zu denen Lojen ein freundschaftliches Verhältnis pflegte und .im künstlerischen Austausch stand. Im Interview mit PW berichtet Lojen, dass er sich keinesfalls isoliert gefühlt habe, ihm genügte dieser Kreis.

Pointner war 1947 Mitbegründer des Wiener Art Club gewesen und hatte sich 1948 an der ersten Surrealismus-Ausstellung in Wien beteiligt, entwickelte dann aber in den 1950er Jahren durch die Erfahrung der Materialmalerei eines Alberto Burri oder Antoni Tapiès eine neue Bildsprache. Burri reagierte in seiner Kunst auf seine essentiellen schrecklichen Erlebnisse als Arzt im II. WK. Er verwendete Materialien, die diese widerspiegeln sollten, in seinen Collagen und Materialassemblagen aus Stoff- und Sackfetzen, rostigen Nägeln und angesengtem Holz. Er verwendete angeschmolzenes Plastik, verschweißten Kunststoff, Leinenfetzen und andere Materialien und fügte diese zu immer neuen Kompositionen zueinander, eigene Interpretationen im Stil des Informel. Burri hat die Substanz des traditionellen Tafelbildes zerstört und grundlegend neu definiert.

Während seines ersten Besuchs der Biennale von Venedig wurden die Arbeiten von Burri, Dorazio und Fautrier für Lojen zu prägenden Erfahrungen seiner künstlerischen Entwicklung.

Durch Kurt Weber hatte Lojen den jungen Kärntner Maler Hans Bischoffshausen (1927-1987) kennengelernt, der sein 1947 an der Grazer TU begonnenes Architekturstudium bald abbrach, um sich ganz der Malerei widmen zu können.1958 stand Bischoffshausen in engem Kontakt mit dem italienischen Avantgardekünstler Lucio Fontana, der durch seine Schnittbilder weltberühmt wurde. 1959 übersiedelte Bischoffshausen nach Paris, wo er als Mitglied in die Gruppe „ZERO-Avantgarde“ aufgenommen wurde, die zur europäischen Entwicklungsspitze der Künste zählte.

Die Begegnung mit Bischoffshausen, mit dem Lojen eine lebenslange Freundschaft verband, war ausschlaggebend für seine entscheidende Vertiefung der frühen Faszination durch die Abstraktion, vertiefte seinen Zugang zu einer strukturellen Materialmalerei und gestischen Malerei. 1983 mündete ihr künstlerischer Dialog in einem gemeinsamen Arbeitsprozess.

Durch seine Materialbilder gehört Lojen zu den wichtigsten Begründern und Vertretern einer abstrakten Malerei in Österreich. Motive des Kubismus wie des Informel, nämlich die materiellen Eigenschaften und internen Eigenwerte der Linie, der Farbe wie auch der Fläche, konnte er auf diese Weise in seinen Materialbildern neu lösen. Die Eigenwelt der Farbe, die Eigenschaft des Materials waren Gegenstand seiner Bilduntersuchungen. Die flache Leinwand wurde zum bloßen Farbträger, die pastosen, dunklen Ölfarben, dick in rhythmischen Strukturen aufgespachtelt, wurden mit anderen Substanzen wie Sand, Asche, Steinen vermischt. Diese plastischen Farbreliefs sind oft von Fäden des dünnflüssig aufgetragenen Kunstlacks durchzogen, der aber auch Spuren von zellartigen Strukturen hinterlässt. Manche Bilder haben Titel, die er in das fertige Bild als „Tote Landschaft“ oder „innere Landschaften“ imaginiert.

Eine souveräne Autonomie des Bildes in Fragen der Farbe und Form wurde auf der Grundlage eines Materialbewußtseins erreicht. Dieses Materialbewußtsein hat in den 1960er Jahren die revolutionärste Phase in der österreichischen Kunst ausgelöst, nämlich die „Aktionsmalerei“ von Prachensky, Brus, Schilling, Nitsch, die im Wiener Aktionismus endete, und die „materialbewusste Skulptur“ von Walter Pichler und Bruno Gironcoli, deren Erbe später Franz West antrat. Parallel zu West stellte Lojen übrigens 1986 in der Neuen Galerie Graz aus.

Neben den Materialbildern schuf er eine zweite Werkgruppe, nämlich eine Serie von Aquarellen, einige daraus sind hier erstmals zu sehen. Im Katalog der NG beschreibt Lojen seine Methodik dieser herausfordernden Technik. Nach ersten Blättern, in denen die Farbe aus dem Pinsel herausgeschleudert wurde oder aus einiger Entfernung auf das am Boden liegende Papier auftraf, entstand eine Serie von „Inneren Landschaftsaquarellen“. In diesen fast monochromen, in horizontal langgestreckten Passepartouts präsentierten Aquarellen, spürte Lojen die Eigengesetzlichkeit des Materials am deutlichsten, da das Wasser, in dem die Farbe aufgelöst war, gleichsam selbst die Formgebung übernahm. Er schreibt:„Das Wasser stand in kleinen Pfützen auf dem Papier, das sich unter seiner Einwirkung in Rillen und Hügeln verformte. Der nachfolgende Trocknungsprozess war im Grunde nichts anderes als das Modell des terrestrischen Vorgangs einer Sedimentation, dessen Spuren sich auf dem Papier absetzten.“

Lojen schuf also in der Nachfolge der Grazer Sezession und ihrer Mentoren der Moderne, (Weber, Pointner, Bischoffshausen)- bereits ab Mitte der 1950er Jahre abstrakte Materialbilder und abstrakte Aquarelle. In den 1960er Jahren entdeckte Lojen die Acrylmalerei als neues Material, wodurch sich seine Bildsprache entscheidend veränderte. Diese und die nächsten Schaffensphasen Gerhard Lojens, dann als Mitglied und Promotor der Gruppe 77, werden wir hoffentlich in weiteren Ausstellungen in diesem schönen, neuen Kunstraum noch zu sehen bekommen.

Christa Steinle

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